May 30, 2025

Wie das elektronische Patientendossier kleine Therapiepraxen betrifft

Das elektronische Patientendossier (EPD) kommt in vielen ambulanten Therapiepraxen bisher kaum zum Einsatz. Warum das so ist, welche Chancen und Herausforderungen bestehen und wie Therapeutinnen und Therapeuten sich darauf vorbereiten können, zeigt dieser Beitrag.

Digitale Gesundheits­versorgung, ein grosser Plan mit kleinen Lücken

Seit Jahren arbeitet die Schweiz daran, das Gesundheitswesen zu digitalisieren. Das elektronische Patientendossier ist dabei ein zentrales Instrument. Es soll sicherstellen, dass wichtige medizinische Informationen an einem Ort gebündelt und für berechtigte Gesundheitsfachpersonen zugänglich sind, mit Zustimmung der Patientinnen und Patienten.

Doch während Spitäler und grössere Institutionen seit einiger Zeit gesetzlich verpflichtet sind, das EPD aktiv zu nutzen, sieht die Realität in kleinen Therapiepraxen anders aus. Gerade in Berufsgruppen wie der Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie, Psychotherapie oder Podologie ist die Teilnahme am EPD bislang freiwillig. Viele dieser Praxen bleiben dem System fern, aus gut nachvollziehbaren Gründen.

Was das EPD leisten soll und warum es wichtig wäre

Das EPD ist keine klassische Krankengeschichte und auch kein Ersatz für eine Praxissoftware. Vielmehr handelt es sich um eine ergänzende, übergeordnete Plattform. Sie dient dazu, behandlungsrelevante Informationen verfügbar zu machen:

  • Diagnosen
  • Laborwerte und Befunde
  • Arztberichte und Spitalaustritte
  • Medikationslisten
  • Therapieberichte

Der Zugriff erfolgt nur mit ausdrücklicher Freigabe durch die Patientin oder den Patienten. So behalten Sie jederzeit die Kontrolle darüber, wer welche Daten sehen darf. Die Idee dahinter ist überzeugend: Gesundheitsfachpersonen sollen mit möglichst vollständigen Informationen arbeiten können, für eine bessere, koordinierte und effizientere Versorgung.

Warum viele Praxen das EPD bisher nicht nutzen

Trotz des sinnvollen Grundgedankens zögern viele kleinere Therapiepraxen mit dem Einstieg ins EPD. Die Gründe sind vielfältig:

  1. Fehlender gesetzlicher Druck
    Für bestehende ambulante Praxen gibt es aktuell keine Pflicht zur Teilnahme. Das EPD ist in diesem Bereich freiwillig, anders als etwa für Spitäler oder neu eröffnete Arztpraxen. Ohne verbindliche Vorgaben fehlt häufig der Anreiz, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
  2. Technische Einstiegshürden
    Der Anschluss an eine EPD-Gemeinschaft erfordert gewisse technische Voraussetzungen. Nicht jede Praxissoftware ist kompatibel. Häufig muss ein zusätzliches Webportal verwendet werden, mit separatem Log-in, neuen Abläufen und erhöhter Komplexität. Für Praxen ohne IT-Fachwissen oder mit sehr reduzierter Infrastruktur bedeutet das eine echte Herausforderung.
  3. Organisatorischer Mehraufwand
    Dokumente müssen vorbereitet, hochgeladen und korrekt verschlagwortet werden. Es entstehen zusätzliche Aufgaben im ohnehin vollen Praxisalltag. Auch die Verwaltung der Zugriffsrechte durch die Patientinnen erfordert Koordination.
  4. Kostenfrage
    Viele EPD-Gemeinschaften verlangen Anschlussgebühren und laufende Jahresbeiträge. Für kleine Praxen, die ohnehin kostensensitiv wirtschaften, stellt das eine nicht zu unterschätzende Hürde dar, insbesondere wenn unklar ist, ob der Nutzen die Investition rechtfertigt.
  5. Geringer Patientennutzen bisher
    Stand 2025 haben nur rund 100’000 Personen in der Schweiz ein aktives EPD eröffnet. Das sind weniger als 2 Prozent der Bevölkerung. Wenn also kaum Patientinnen und Patienten ein EPD besitzen, ist auch der Aufwand für die anbietende Praxis schwer zu rechtfertigen.

Was das EPD für Therapiepraxen bringen kann

Auch wenn der direkte Nutzen aktuell noch begrenzt ist: Langfristig bietet das EPD für Therapeutinnen und Therapeuten eine ganze Reihe von Vorteilen, speziell bei komplexen Fällen oder älteren Patientinnen mit mehreren behandelnden Fachpersonen.

  • Bessere Vorbereitung
    Behandelnde Personen können schon vor der ersten Sitzung relevante Dokumente einsehen und sich gezielter vorbereiten.
  • Weniger Informationsverluste
    Wenn Vorinformationen aus der Klinik oder von der Hausärztin digital verfügbar sind, wird weniger auf Erzählungen angewiesen. Das ist besonders bei Sprachbarrieren oder kognitiven Einschränkungen hilfreich.
  • Strukturierter Austausch mit anderen Beteiligten
    Berichte aus der Therapie lassen sich zentral ablegen. Hausarzt, Spitex oder Rehaeinrichtungen haben dann Zugriff, sofern die behandelnde Person dies erlaubt. Das fördert die Zusammenarbeit und spart Zeit.
  • Sicherheit und Transparenz
    Alles, was im EPD landet, ist rückverfolgbar. Das schafft Klarheit für alle Beteiligten. Gleichzeitig behalten Patientinnen und Patienten jederzeit die Kontrolle.
  • Stärkung des Praxisimages
    Wer am EPD teilnimmt, zeigt: Wir gehen mit der Zeit, wir arbeiten vernetzt, wir setzen auf Qualität.

Warum der Nutzen heute noch oft verpufft

Gleichzeitig wird in vielen Gesprächen mit Praxisinhaberinnen deutlich: Das System fühlt sich in der aktuellen Form wie ein Fremdkörper an. Die Integration in bestehende Arbeitsabläufe gelingt selten reibungslos. Viele empfinden die Nutzung als:

  • zu kompliziert,
  • zu aufwendig,
  • zu schlecht erklärt,
  • zu wenig sinnvoll im Alltag.

So entsteht schnell der Eindruck, das EPD bringe vorwiegend zusätzliche Bürokratie, gerade bei kleinen Teams ohne Zeitreserve oder technische Begleitung. Auch Datenschutzfragen sorgen für Unsicherheit: Welche Notizen darf ich hochladen? Wie viel muss dokumentiert werden? Und was, wenn die zu behandelnde Person plötzlich Zugriff auf interne Einschätzungen bekommt?

Was sich aktuell verändert und Hoffnung macht

Trotz aller Startschwierigkeiten gibt es auch positive Entwicklungen:

  • Der Bundesrat plant, die Nutzung des EPD in Zukunft für alle Gesundheitsfachpersonen verpflichtend zu machen, also auch für Therapeutinnen und Therapeuten.
  • Gleichzeitig soll das sogenannte Opt-out-Modell eingeführt werden: Jede Person erhält automatisch ein EPD, sofern sie nicht aktiv widerspricht. Das wird die Zahl der Dossiers deutlich erhöhen.
  • Viele Kantone und EPD-Anbieter investieren inzwischen in Beratungsstellen und digitale Unterstützung.
  • Mit dem sogenannten EPD-Postbus tourt eine mobile EPD-Eröffnungsstelle durch die Schweiz. Dort können Bürgerinnen und Bürger unkompliziert ihr Dossier eröffnen und sich beraten lassen, eine niederschwellige Brücke zur Digitalisierung.
  • Einige Anbieter setzen mittlerweile auf einfachere, günstigere Einstiegspakete speziell für kleine Praxen. Auch die technische Integration soll vereinfacht werden.

Was kleine Praxen jetzt tun können

Auch wenn das EPD heute noch keine Pflicht ist, es lohnt sich, jetzt erste Schritte zu planen. Ein späterer Zwang kommt mit grösserem Aufwand. Wer vorbereitet ist, spart Zeit und Nerven.

Empfehlenswert ist:

  • Sich über die EPD-Gemeinschaft im eigenen Kanton informieren.
  • Technische Anforderungen prüfen lassen.
  • Im Team frühzeitig über mögliche Auswirkungen sprechen.
  • Gezielte Beratung durch Verbände oder Anbieter in Anspruch nehmen.
  • Eine einfache Testphase mit Einzelfällen überlegen.

Je früher eine Praxis beginnt, desto besser lassen sich Abläufe anpassen und Fragen klären.

Fazit

Das elektronische Patientendossier ist bislang nicht dort angekommen, wo es sein soll, primär nicht in kleinen Therapiepraxen. Aber die Richtung stimmt. Wenn technische und organisatorische Hürden abgebaut werden, kann das EPD auch für Therapeutinnen und Therapeuten ein Gewinn sein. Mehr Information, bessere Zusammenarbeit und ein stärkeres Vertrauensverhältnis zur Patientin oder zum Patienten sind nur einige der möglichen Vorteile.